Horizont 36-37/2023
6 Medien
HORIZONT № 36-37
Politico dominiert seit 2015 die EU-News-Bubble und mit Matthew Karnitschnig ist ein Österreicher mitten drin. Wie das Politik-Portal sein Geld verdient und er die Berichterstattung in Österreich erlebt. Einblick in die Brüsseler Nachrichtenmaschine
„Dinge anders laufen als internatio nal.“ Die ganzen internationalen Hoff nungen des Konzerns lägen bei Poli tico, da „man mit der Marke international expandieren kann. Das kann man mit der Bild nicht.“ Daher sei Springer bei Politico aktuell „sehr vorsichtig. Ich hoffe, dass es so bleibt“. Noch niemals Ärger hat er auch für seine zahlreichen Geschichten über die österreichische Politik – Karnit schnig setzte sich etwa immer wieder kritisch mit dem System Kurz ausein ander– bekommen. Bei Politico habe er den Vorteil, dass es „für mich keine Konsequenzen gibt, wenn ich über Kurz schreibe“. Dabei gäbe es „immer wieder Beschwerden wegen mir. Ich bin sehr dankbar, dass meine Chefs mir davon meistens nicht erzählen. Es gab nie irgendwelche Konsequen zen – weder bei Merkel noch bei Kurz.“ Das erlaube ihm etwas kriti scher zu sein, auch „weil wir nicht von der Politik oder dem Betrieb vor Ort abhängen. Es ist etwas anderes, als wenn man in Österreich sitzt. Das ha ben wir in der Ära Kurz erlebt, wo es Bilder vom Presse -Chefredakteur in irgendeinen Hinterzimmer mit Kurz gegeben hat. Das wird man von uns nicht erleben, weil wir dieses Abhän gigkeitsverhältnis nicht haben.“ Dass man öfter über Österreich schreibt, als man das von einem inter nationalen Politik-Portal erwarten würde, hänge auch damit zusammen, dass das Land und seine Politik „für ein internationale Publikum interes sant sind, weil es hier so viele Skanda le gibt. Es gibt immer so sonderbare Geschichten in Österreich, die eine internationale Reichweite haben.“ Das Land steche in Europa auch des wegen hervor, „weil man sich mehr Reife von einem Land wie Österreich erwartet. Ich bin immer wieder er staunt ob der Primitivität und Stumpf heit der Politik.“ Twitter-Provokateur Den Ärger, den er von seiner Chefre daktion nicht bekommt, kassiert Kar nitschnig dafür öfters auf Twitter, wo er bisweilen gerne provoziert. Die Konfrontation auf dem Kurznachrich tendienst „genieße ich schon. Manch mal übertreibe ich vielleicht ein we nig“, sagt der Journalist. Er glaubt aber in den vergangenen Jahren moderater geworden zu sein, auch weil er bereits den einen oder anderen Shitstorm über sich ergehen lassen musste. „Ich habe versucht, daraus zu lernen, neige aber dazu, den gleichen Fehler immer wieder zu machen. Meine Frau sagt immer: Tu‘ das Ding weg! Vor allem spät abends, nachdem ich ein oder zwei Achtel ge trunken habe.“ •
nanziert wiederum das, was ich ma che, also die allgemeine Berichter stattung“, sagt Karnitschnig, denn „diese Bezahldienste bringen uns viel Geld rein.“ Ein einzelner solcher Abo-Dienst habe in der Regel mindestens zwei schreibende Redakteur:innen und zwei Mitarbeiter:innen, die redigie ren. Kunden dafür seien Rechtsan waltskanzleien, Verbände oder große Unternehmen – kurz: „Leute, die es sich leisten können. Die wollen jede Bewegung in Brüssel und der EU ver folgen und sind bereit dafür 8.000 Euro im Jahr für so eine Abonnement zu bezahlen.“ Übernahme Das Geschäftsmodell ist offenbar so erfolgreich, dass Axel Springer, der bisher 50-Prozent-Miteigentümer des Europa-Ablegers war, 2021 gleich das gesamte Unternehmen um rund 900 Millionen Euro übernahm. Das hat für Unruhe auch innerhalb von Politico geführt. Denn Axel Springer Chef Mathias Döpfner hat zuletzt durch veröffentlichte E-Mails und Chatnachrichten mit dem ehe maligen Bild -Chefredakteur Reichelt eher wenig Begeisterung für unab hängigen Journalismus gezeigt. In den zitierten Chatnachrichten zeigte Döpfner Sympathie für die Politik von Ex-US-Präsident Donald Trump, Bundeskanzlern Angela Merkel sei hingegen „ein Sargnagel der Demo kratie“ und von der Bild -Zeitung soll er sich vor der Bundestagswahl mehr positive Berichterstattung über die FDP gewünscht haben. „Das war schon sehr interessant“, sagt dazu Karnitschnig. Bei Politico habe man Derartiges von Döpfner aber nicht erlebt: „Mit uns gehen sie bislang anders um, weil sie auch gese hen haben, dass der Wert von Politico damit zusammenhängt, dass wir poli tisch unabhängig sind. Ich habe wirk lich sehr kritische Dinge über ( FDP Chef, Anm. ) Christian Lindner geschrieben und da hat es nie irgend eine Einmischung gegeben.“ Seiner Meinung nach sei für Springer Deutschland ein Markt, in dem die
Bericht von Stefan Binder S eid immer nett zu den Kolle gen“, rät Matthew Karnitsch nig. Denn seine steile Karriere glaubt der Chef-Europakorre spondent von Politico Europe vor allem ehemaligen beruflichen Weggefährten zu verdanken. Vergangene Woche war der 51-Jährige auf Einladung der „Auf macher - die Medienrunde“ zu Gast in Wien, um über seine Arbeit, den neu en Politico-Eigentümer Axel Springer und die österreichische Medienland schaft zu sprechen. Der im US-Bundesstaat Arizona aufgewachsene Sohn eines österrei chischen Vaters und einer amerikani schen Mutter wollte „eigentlich schon immer Journalist sein“. Daher begann er nach seinem Studium zunächst bei einer kleinen Tageszeitung in North Carolina zu arbeiten, als das erste Mal ein ehemaliger Kollege für einen Kar riere-Schub sorgte: „Er hat mir er zählt, dass eine Nachrichtenagentur namens Bloomberg Leute in Frank furt sucht.“ Aufgrund seiner Deutsch Kenntnisse war er dort willkommen. Ganz ohne Kollegenhilfe wechselte er dann von Bloomberg zur Nachrich tenagentur Reuters und zum Wall Street Journa l, wo er sich zum Büro chef in Berlin hocharbeitete, bevor er schließlich 2015 zu seinem jetzigen Arbeitgeber wechselte. Nicht weniger erfolgreich als seine Karriere war die Entwicklung von Po litico. 2007 als digitale Insider-Be richterstattungsplattform über den Politikbetrieb in Washington gegrün det, wurde das Politik-Portal bald zum Must-Read in der amerikani schen Hauptstadt. Das Unternehmen wurde auch wirtschaftlich so erfolg reich, dass man 2014 gemeinsam mit Axel Springer begann, ein europäi sche Pendant in Brüssel aufzubauen. Hier kam wieder ein ehemaliger Kollege Karnitschnigs ins Spiel, der der erste Chefredakteur von Politico Europe war und Karnitschnig vom Wall Street Journal abwarb. Für den Journalisten war der Wechsel ein No vum – von einem etablierten Medien haus zu einem Start-up: „Das hatte
Statt Wein gab es für Matt Karnitschnig (rechts) Wasser bei der Podiumsdiskussion mit Alex Fanta . © Binder/HORIZONT
Redaktion und es gibt Schichten für den Newsletter. Der Nachteil dieser Strategie ist, dass die Persönlichkeit fehlt.“ Bei Politico gibt es hingegen ei nen Autor, der tagtäglich nur den Newsletter schreibt. Zwei Redakteur:innen in Australien redi gieren zusätzlich jeden Abend das Playbook. Vorteil dieser Strategie sei, dass man „eine Stimme und einen ge wissen Stil“ heraushört. Auch eine wöchentlich in Brüssel erscheinende Printausgabe von Poli tico gibt es mittlerweile. Das Geld komme aber überwiegend durch die Politico-Pro-Produkte herein, sagt Karnitschnig. Dabei handelt es sich um Verticals, also hochspezifische Angebote, die Abonennt:innen über jede Bewegung in Brüssel zu Themen wie Gesundheit, Technologie oder Landwirtschaft informieren . „Das fi ‚Ich bin immer wieder erstaunt ob der Primitivität und Stumpfheit der Politik.‘
einen ganz anderen Charakter“. Für ihn sei das auch „eine Chance, mitzu gestalten“ gewesen. Denn viele Re geln im US-amerikanischen Journa lismus sind ihm „ein bisschen zu altmodisch und streng“. Die Idee hin ter dem Politik-Portal sei hingegen gewesen, dass es nicht „Hausaufgabe sein sollte, Politico zu lesen, sondern ein Genuss.“ Die oft auf Persönlich keiten getrimmten Geschichten, mit zugespitzten und provokanten Über schriften würden auch „eher meiner Persönlichkeit entsprechen“. Newsletter, Printausgabe, Verticals Geholfen hat beim Start in Europa, dass es ab 2015 eine Reihe von Krisen – von der Euro-Krise bis zum Flücht lingszustrom – gegeben hat, die den ganzen Kontinent im Bann hielten. „Das waren paneuropäische Themen, die für Medien wie uns ein gefunde nes Fressen waren“, sagt Karnitschnig. Start-up ist man längst keines mehr. Heute hat das Politik-Portal rund 300 Mitarbeiter:innen in Brüs sel, London, Paris und Berlin. Flag schiff ist der tägliche Newsletter „Po litico Playbook“, der mehr als 125.000 Abonnnt:innen hat und laut Karnit schnig „ein Must-Read für die ganze EU ist“. Das Konzept für den Newslet ter unterscheidet sich von jenen der meisten anderen Medienhäuser, glaubt Karnitschnigs: „Viele andere Medien verteilen diese Aufgabe in der
Matt Karnitschnig, Chef-Europa korrespondent, Politico Europe
Vom Washingtoner Start-up zum globalen Politik-Portal
Der Name der Seite wird von The Politico auf Politico geändert.
Politico kauft die Online-Nachrichtenseite Capital New York, rebrandet die Abteilungen später in Politico Florida, Politico New Jersey und Politico New York um. Weitere Regionalableger folgen. Im gleichen Jahr veröffentlicht Politico ein Print-Magazin.
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Axel Springer übernimmt um mehr als eine
Die beiden Washington Post -Redakteure John
Politico startet Poli tico Pro, ein Vertical, das zu hochspezifi schen Politikfeldern hochpreisige Abo Produkte anbietet. 2014 machte Politico Pro rund die Hälfte des Umsatzes aus.
Politico gewinnt seinen ersten Pulitzer Preis.
Milliarde US-Dollar Politico komplett.
Harris und Jim VandeHei gründen mit finanzieller Unterstützung des amerika nischen Bankers Robert All britton The Politico. Geplant war ein Portal, das Online gerecht über die Gescheh nisse im Politik-Betrieb in Washington berichtet.
Gemeinsam mit Axel Springer gründet Politico ein Joint Venture in Europa aus dem Politco Europe hervorgeht, das nach US-Vorbild Insider-Berichterstattung aus Brüssel anbietet. Auch das EU-Pendant bietet Politico Pro-Briefings an und gründet Ableger in europäischen Hauptstädten.
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