Horizont 36-37/2023
4 Kommentar
HORIZONT № 36-37
Helnweins blutiger Aufschrei
Sager der Woche
‚Ich bin immer wieder erstaunt ob der Primitivität und Stumpfheit der Politik.‘
Kommentar von Denise Samer A uf erneute Initiative der Wiener Städtischen Ver
Bild der Woche
sicherung verwandelt Starkünstler Gottfried Helnwein den Wiener Ring turm in ein überdimensionales Kunstwerk. Bereits die erste Koopera tion im Jahr 2018 polarsierte – damals wurde ein Kind mit Maschinenge wehr abgebildet. Es sollte ein Appell gegen Terror, Gewalt und Angst sein. Die insgesamt 3.000 Quadratmeter große Verhüllung möchte diesmal die Gewalterfahrungen von Frauen und Kindern nachdrücklich sichtbar ma chen und ist Teil der Anti-Gewalt Kampagne der Wiener Städtischen.
Matt Karnitschnig, Chef-Europa korrespondent, Politico Europe → Seite 6
© XXX
Kurz-Film und der fällige Cut Das mediale Spektakel rund um die Premiere von ‚Kurz – Der Film‘ war enorm. Zeit für eine kritische Standortbestimmung der Medien.
Medien-Finanzierung
Frauen im Sport
Echte (Un) Abhängigkeit
Es geht um Leistung, nicht Geflirte
© Sabine Klimpt/Manstein Verlag
Kommentar von Stefan Binder
Kommentar von Nora Halwax
S elbst aus der Ferne fällt es auf, wenn sich Chefredakteure hierzu lande mit Politikern zu lauschigen Abenden treffen. Bilder, wie jene des ehemaligen Presse -Chefredakteurs mit Bundeskanzler Kurz „wird man von uns nicht erleben, weil wir dieses Abhängigkeitsverhältnis nicht ha ben“, sagt Matt Karnitschnig, Chef Europakorrespondent des Politik Portals Politico ( siehe Seite 6 ). Das kann nicht primär auf die Grö ße des Landes zurückgeführt werden. Über den Weg läuft man sich auch in anderen Hauptstädten. Vielmehr ist es ein primär ökonomisches Abhän gigkeitsverhältnis, in das sich Medien – zunächst freiwillig – begeben haben. Durch die Turbulenzen der vergange nen Jahre wurde aus der Freiwilligkeit eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Ihren Höhepunkt hat diese Abhängig keit in den öffentlichen Inseratenaus gaben gefunden. Die Branche sei „ein bisschen wie ein Junkie abhängig von Inseraten“, sagte schon vor Jahren Eu gen Russ. Echte Unabhängigkeit, wie sie Medien gerne für sich in Anspruch nehmen, wird man aber nur errei chen, wenn man auch wirtschaftlich unabhängig ist. Wenn die Branche das schafft, fällt sie womöglich auch in Brüssel nicht mehr negativ auf.
A ngelique Kerber war 2018 die ers te deutsche Wimbledon-Siegerin seit Steffi Graf. Im Anschluss inter viewte sie ZDF-Reporter Martin Wolff: „Das haben Sie durchgestan den, aber danach ging es noch nicht direkt ins Bett, oder? Getrunken? Ge flirtet? Kamen die Verehrer in Scha ren immer wieder mal an?“ Abgerun det von der Frage, mit welchem Herrenfinalisten sie bei der Champi ons Night lieber tanzen wolle. Der Reporter wollte nach berechtigter Kritik darin keinen Sexismus erken nen. Eine Frage, die er sich selbst stel len sollte: Hätte er all das auch Novak Djokovic gefragt? Wohl kaum. Die Profisportwelt ist wie auch ihr mediales Abbild noch immer männ lich dominiert. Wie sehr Sexismus trauriges Tagesgeschäft ist, zeigt nicht zuletzt der sexuelle Übergriff des spa nischen Fußball-Verbandschefs Luis Rubiales auf WM-Siegerin Jennifer Hermoso. Im Sponsoring sind Sport lerinnen stark unterrepräsentiert, hier gilt es alte Strukturen aufzubre chen. Nur zwölf Prozent der heimi schen Sportberichterstattung bein halten Frauensport. Ziel muss sein, den Wert zu heben – und dabei die Anlassfälle für solche Skandalschlag zeilen auf Null zu reduzieren.
Leitartikel von Jürgen Hofer, Chefredakteur W enn Sebastian Kurz ruft, folgen sie immer noch alle. Nicht nur einstige politische Wegbeglei ter und türkise Gloryhunter, sondernauchdieheimischeMedienlandschaft spielte das Spiel rund um die Premiere von „Kurz – Der Film“ in großen Teilen artig mit. Ein Blick auf die Präsenz gefällig? In den letzten zwei Wochen schaffte der Ex-Kanzler fast 1.000 namentlich Erwähnungen in österreichischen Medien, rund die Hälfte davon entfiel auf „sei nen“ Film. Stolze 500 Mal also war vom eins tigen Messias der ÖVP und dem filmischen Werk die Rede, die flankierenden Bilder von (Ex-)Kanzler-Trio bis Popcorn-Schüssel kom plettierten das mediale Spektakel. Die Debatte, ob der Film und seine kom munikative Inszenierung (Hallo, Südosttan gente!) für Kurz nun reiner Egotrip, (voraus-) geschickte Litigation PR, Schlusspunkt oder Neu-Auftakt der politischen Karriere war, ent behrt natürlich nicht einer gewissen Verlo ckung. Die deutlich spannendere Frage hinter dem Film und seiner kommunikativen Insze nierung ist aber vielmehr, warum Medien wieder und wieder der Verlockung der maßlo sen Berichterstattung verfallen – vor allem bei
politischen Strahlemännern, als solcher sich Kurz stets gab und darstellte. Nicht nur im Boulevard (verständlicher weise), sondern auch bei Qualitätstitel lassen sich Redaktionen vom Takt der Politik beein flussen bis treiben; eine Abwägung samt Ein ordnung und entsprechender Gewichtung fehlt. In der Konsequenz führt das dazu, dass Themen der politmedialen Bubble hochstili
siert werden, die an den Interessen der Gesellschaft schlicht vorbeigehen – 4.000 Kinobesuche öster reichweit am ersten Wochenende des Kurz-Films widerle gen diesen Befund zumindest in diesem Fall nicht zur Gänze.
‚Verlockung der maßlosen Bericht erstattung‘
Die Relevanz von Inhalten ist immer ge koppelt an Akzeptanz und Zuwendung eines Mediums. Insofern wäre eine kritische Ausei nandersetzung nicht nur mit den Objekten der Berichterstattung, sondern auch mit sich selbst höchst angebracht. Manchmal ist weni ger dann doch mehr.
Gastkommentar
Die Kurz-Filme als Medienspektakel E s ist mir egal, was die Presse über mich schreibt. Hauptsache, die
ohne Ende ist? Niemand weiß, ob Kurz verurteilt wird oder nicht. Blei ben wir daher sachlich: Es gibt kei nerlei Datenlage, dass Stand jetzt ein Spitzenkandidat Kurz der ÖVP groß artig bessere Umfrage- und Wahler gebnisse bringen würde. Eine eigene Parteiliste von Kurz wäre detto kein Riesenerfolg. Wetten, dass irgendwer entspre chende Umfragen den Medien zuge spielt hätte, wenn es sie in seriöser Form gäbe? Zudem schließt Kurz eine Rückkehr in die Politik aus. Seine An hänger sind überzeugt, dass er nie die Unwahrheit sagen oder lügen würde. Belassen wir es dabei, bis das Gegen teil bewiesen ist.
hen. Doch ist es spannend, ob Kurz ein Narzisst ist, der ohne Kamera an Phantomschmerzen leidet? Seriöse Journalisten interessiert das nicht. Eher ist ein Thema, ob Hintermän ner einen Film über Kurz bezahlt ha ben oder nicht. Das wäre jedoch zu recherchieren und nicht zu spekulie ren. Ähnliches gilt für das Herumra ten, ob Herr Kurz nochmals sein Glück in der Politik sucht. Da ist das Schöne an der Sache die Schlagzei lengarantie: Weil Kurz im August 37 Jahre alt wurde, kann man jahrzehn telang „Vielleicht doch?“ titeln. Wieso sollte „Kurz“ Teil eines Masterplans für die Rückkehr ins Kanzleramt sein, wenn es ein Film
Peter Filzmaier ist Professor für Politik wissenschaft an der Karl Franzens-Univer sität Graz und der Universität für Weiterbildung Krems © A&W
Schlagzeilen sind aber für ihn Gratis PR, selbst wenn sie kritisch sind. Kri tiker freuen sich umgekehrt über ihr Bedeutungshoch, wenn der Ex-Kanz ler Objekt ihrer investigativen Begier de ist. Es würde aber wenig Sinn machen, einen ganzen Film als prozessbeglei tende Öffentlichkeitsarbeit vulgo „Li tigation PR“ zu drehen, wenn die Ziel gruppe eine einzige Person ist: Jener Einzelrichter, der den Ex-Kanzler im Oktober freispricht oder verurteilt. So gesehen ist verständlich, dass wir für Kurz als Freund des Filmes „Kurz“ die Hobbypsychologie bemü
schreiben meinen Namen richtig!“ Das soll Curd Jürgens gesagt haben. Für Politiker, die auf Öffentlichkeits wirkung angewiesen sind, macht die Aussage genauso Sinn. Doch was hat ein Unternehmer davon? Und warum spielen Medien – Anwesende als Au tor und Leser eingeschlossen – beim künstlichen Hype um zwei Kurz-Fil me so gerne mit? Weil es um Sebastian Kurz geht. Der hat stets von sich aus mit den Me dien gespielt. Wobei er deren Unab hängigkeit als lästiges Detail sah.
Die Redaktion des HORIZONT befragt an dieser Stelle Spitzen der Kommunika tionsbranche zu aktuellen Themen aus Werbung, Medien und Marketing.
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