Horizont 21/2022

2 Titelstory

HORIZONT № 21

‚Projekt ist zukunftsweisend‘

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TikTok setzt laut einer eigenen Erhe bung darauf, dass Menschen sich durch Social-Media-Communitys von uninteressierten Beobachter:innen zu aktiven Käufer:innen wandeln könn ten. Eine entsprechend wichtige Rolle nehmen dabei wenig verwunderlich Influencer:innen ein, die Produkte vorstellen, informieren und inspirie ren. Erste Tools für E-Commerce launchte TikTok schon im September 2021. Damit soll in der App künftig nicht nur geworben, sondern in der Vorstellung der Verantwortlichen di rekt gekauft werden können. Kein Licht ohne Schatten Die Social-Media-Plattformen zwin gen damit nicht nur eine komplette Industrie zur Veränderung, indem sich Bezahlprozesse und Lieferketten völlig verändern, aber auch Marke ting und Vermarkter neu aufstellen müssen. Social Commerce lässt bei Konsument:innen auch berechtigte Sorgen aufkeimen. Bei den negativen Erfahrungen etwa gaben Menschen in der bereits erwähnten GetApp Umfrage an, das Produkt nie erhalten zu haben, auch entsprach das Pro dukt oft nicht den Erwartungen oder sah anders aus, als in der oftmals ge schönten Digitalwelt dargestellt. Zu den Bedenken und potenziel len Nachteilen werden aber auch Diebstahl von persönlichen Daten sowie das zu großeWissen der Social Media-Plattformen über die persönli chen Einkaufsaktivitäten genannt – Vorbehalte, die schon aus einer Zeit der reinen Kommunikation bei den großen Networks bestens bekannt sind. Und auch vor gefakten bezie hungsweise gepushten Empfehlun gen positiver als auch negativer Art sind Konsument :innen bei Social Commerce nicht immer gefeit. •

Retailer dm setzt mit der GroupM auf Live-Shopping. Die Verantwortlichen sehen relevante Businesscases – und dunkle Wolken bei klassischen Medien.

ersten Zahlen bestätigen die Strate gie, denn Verweildauer oder Waren korb liegen weit über Markt-Bench marks. Vergleichswerte anderer europäischer Anbieter zeigen uns eine durchschnittliche Verweildauer von 9:38 Minuten, wir liegen mit dm bei im Schnitt über 25 Minuten, das heißt bei knapp demDreifachen. Die ser Wert bestätigt die Qualität der Show und des Contents. Schwappt der Trend des Social Commerce aus Asien also noch stärker nach Europa? Distl: Ja, wobei unser Format direkt in der App von dm stattfindet. Wir le gen starken Fokus auf das Pushen der neuen App, haben aber auch die Kon trolle über alles, was dort von Check out bis Logistik angedockt ist. Im asi atischen Markt sind bereits mehr Funktionalitäten gegeben, daher fin det Shopping dort auch schon stärker auf den Social-Media-Plattformen statt. Europäische Anwendungen in demBereich finden derzeit stark End to-End statt, bei uns dienen Social Media eher noch zur Bewerbung die ser Formate. Die Investments dafür werden bei Kund:innen nicht on top dazu kommen. Inwiefern kannibalisie ren solche Projekte bestehende Mediabudgets der Kunden? Andreas Vretscha: Jedes Unter nehmen wird sich leichter tun, wenn

Interview von Jürgen Hofer

S eit letztemSommer inVorbereitung produziert die GroupM seit Anfang 2022 ein Live-Shopping-Format für die Drogeriemarktkette dm. Mittwochs von 19 bis 20 Uhr bindet Moderatorin Martina Reuter nicht nur Expert:innen und Influencer:innen ein, sondern präsentiert auch entsprechende Pro dukte, die direkt imBild in denWaren korb geschoben und folgend gekauft werden können. 14 Shows fanden be reits statt, weitere 25 sind heuer noch geplant. In den 840 Live-Minuten wur den bisher rund 120 Produkte insze niert und besprochen, bis zu 20 Perso nen sind bei Agentur und Produktion involviert. Mit HORIZONT sprachen die GroupM-Verantwortlichen Andre as Vretscha als CEO sowie Nicola Po horalek (Managing Director GroupM Digital) undmStudioManaging Direc tor Martin Distl. Martin Distl: Das Thema boomt international, gerade in der Fashion- und Beauty-Branche ist das mittler weile Standard und gehört dazu. Dm hat international bereits gute Erfah rungen gesammelt und will künftig auch mehrere Märkte damit bedie nen. Aus Österreich heraus wurde das Basiskonzept von mStudio erstellt, welches in weiterer Folge von dm auf weitere Märkte ausgerollt wird. Die Horizont: Warum ein Live Shopping-Format?

Für das dm-Live-Shopping: mStudio als Leadagentur mit den PartnernWavemaker (Media), Diego5 (Produktion), Artedge Sound & Studios OG (Studio). © mStudio

war in den Diskussionen mit dem Kunden der Punkt, an demman sich entschlossen hat, diesen Aufwand betreiben zu wollen? Distl: Es geht um Shoppertainment, wie wir es nennen. Online-Live-Shop ping vernetzt, ermöglicht Interaktivi tät und gleichzeitig tiefergehende Ex pertise zu den Produkten. Content ist Information, und wir steigern mit glaubwürdiger Information wie etwa Pflegetipps undAnwendungsempfeh lungen der Produkte die Reichweite und das Engagement. Emotion und Storytelling enablen hier undmachen aus Zuseher:innen auch aktive Fans. Es gibt Beispiele etwa von L’Oreal, die mit einemsingulären Shopping-Event die kompletten Monatsvorgaben in Sachen digitaler Umsatz erfüllt haben. Dm hätte das auch mit ein paar Influencer:innen auf Insta realisie ren können, oder? Distl: Nein. Einerseits bindenwir ent sprechende Industriepartner in der Show inhaltlich stark ein. Andererseits sind auch Influencer:innen in der Show als Transporteure wichtig. Das Unternehmen agiert also als Plattform und Host, der den Rahmen definiert und dies auch nicht aus der Hand gibt. Influencer:innen sind in diesem Fall nur ein Bestandteil der Plattform und nicht die Plattform selbst. Nicola Pohoralek: Wesentlich ist ja auch der Umstand, dass gewisse Funktionen der Social Media, so wie wir sie aus Asien kennen, bei uns der zeit noch nicht verfügbar sind. Check out, Bezahlung, Logistik sind bei dm bereits direkt in der App angebunden, was wir über Influencer:innen und In stagram in der Form noch nicht und auch nicht so gut abbilden könnten. Pohoralek: Eine Videoproduktion kanndir natürlich jede Produktionsfir ma realisieren, aber wir decken im Funnel und der Customer Journey ei nen wesentlich größeren Bereich ab – von Strategie über Content bis Com merce. Und wir bieten ja diese Kompetenzen mit Ausnahme der tat sächlichen Produktionsleistung auch innerhalb der GroupM ab. Unsere Er fahrung, Daten je nach Funnel und Konsumverhalten einzusetzen und zu interpretieren, ist zudem eine unserer digitalenKernkompetenzenund kom plimentiert unsere Mediastrategien über alle digitalen Kanäle hinweg. Das ungekürzte Interview sowie Bilder des Live-Shoppings finden Sie online auf www.horizont.at Wofür braucht es dabei eigentlich die Mediaagentur?

es nicht in einstigen Kategorien und Silos denkt: Vertrieb, Marketing und Performance sind nicht mehr zu tren nen. Daher sehe ich keine Kannibali sierung, sondern einen Wettbewerb des Besseren. Aber das Geld amMarkt wird nicht mehr. Vretscha: Inder Innensicht desUn ternehmens bleibt es gleich, das ist richtig. Und natürlich sehen sich etwa TV-Vermarkter mit einer drohenden Kannibalisierung konfrontiert. Das Projekt zeigt uns auch, dass inder klas sischen Agentur-Kunden-Vermarkter Beziehung, die es gibt, manch ein Ver markter die Plattform-Ökonomie verschlafen hat. In dieser Konstellati on brauchst du Vermarkter und ihre Medien nicht mehr zwangsläufig – und wenn dann eher zur reinen Be werbung. Wir benötigen für dieses Projekt schlicht auch keine TV-Werbe blöcke mehr, weil wir Medienbrüche vermeiden und stark digital pushen undbewerben. Dieses Projekt sehe ich als durchaus zukunftsweisend. Damit würde sich ein komplettes Ökosystem verändern. Eine Versicherung, eine Bank, ein Au tomobilhersteller können ebenso klassische Medien umgehen und in anderer Form inszenieren und verkaufen. Wie weit geht die Fantasie? Vretscha: Die Fantasie geht theore tisch in Richtung 100 Prozent aller Kunden. Vor 15 Jahren hätte auch nie mand gedacht, dass wir einmal Schu he digital einkaufenwerden. Vielleicht wird nicht jeder Kunde seine eigene Plattform bauen, aber zumindest be stehende nutzen und bespielen. Gewisse Player sind in diesemÖko system also künftig außen vor, und Owned, Earned und Paid Media definieren sich völlig neu? Vretscha: Wenn gewisse Player über schlechte Messung und hohe In flation ihrer Gattung sprechen, dann ist das dermaßen weit weg vom Busi ness und dem Alltag vieler Kunden. Die Plattform-Ökonomie mit ihren unmittelbarenEffektenhat da deutlich mehr Reiz. Auf Seite eines klassischen Vermarkters würde ich mir diese Ent wicklung sehr genau ansehen; wir als Agentur sprechen derzeit mit sehr vie len Kunden über solche Modelle. Lassen Sie uns zurück zum Projekt mit dm kommen. Die Frage mag banal klingen, dennoch: Warum die Entscheidung, E-Commerce mit Content zu verknüpfen? Wo

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